Rühreier
Mister Martin war verzweifelt! Seit Jahren betreute er jetzt die Jungs und hatte viel Schweiß und Nerven darauf verwendet den richtigen, den einzigartigen Sound aus der Kombo herauszukitzeln.
Mr. Martin war ein aufstrebender Stern im Londoner Musikzirkus und Chef des kleinen Klassik-Labels Parlophone. Bislang hatte er sich jedoch mehr dem Jazz gewidmet. Aber dann stand plötzlich ein Kerlchen bei ihm in der Tür, der gut und gern auch als Klinkenputzer für Staubsauger durchgegangen wäre. Aber der Bursche, der mit: „Hello, ich bin Brian!“ vorstellte, hatte eine Band unter seinen Fittichen, die einen vollkommen neuen Beat draufhatte.
Erst war Mr. Martin nur wenig angetan von dem Sound, den die Vier dort auf seiner Studiobühne fabrizierten, aber genau wie Klinkenputzer Brian hatte er das unbestimmte Gefühl ein Diamanten in den Händen zu halten, wenn auch einen ungeschliffenen.
So sorgte sich der Musikproduzent fortan um die Vier. Brachte seine Erfahrung aus dem Musikgeschäft mit ein und vor allem seine Qualitäten als Produzent. Und allmählich legte er den Edelstein frei, den er von Anfang an in den Jungs gesehen hatte.
Die Arbeit trug schließlich Früchte und mit der Single „From me to you“ erreichten sie schließlich die Spitze der englischen Charts. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Hit auf Hit und Tour auf Tour folgten. Schließlich wurde aus den Vieren die angesagteste Band Englands.
Jetzt vier Jahre später, nach einem exzessiven Parforceritt durch das weltweite Musikbusiness machte sich eine gewisse Erschöpfung breit. Der ständige Druck durch die unersättlichen Fans und die Gier der Industrie, die eine Kuh zu melken pflegte, solange sie sich noch auf den Beinen halten konnte, hatten Spuren hinterlassen, bei allen Beteiligten.
Jetzt saß einer der Jungs im Studio und schluderte einige Noten am Piano. Mr. Martin erkannte gleich das Potential der Klimperei. Ein Reprisenformat aus dem sich ein zweitaktiger Melodiebogen entwickelt. Mit ein wenig Feinschliff würde es der nächste große Hit der Fabelhaften Vier werden.
Als der junge Kerl den Produzenten bemerkte, der hinter der Glasscheibe am Mischpult stand, lächelte er. Man mochte und vertraute sich.
George trat in den großen Raum, in dem für gewöhnlich ein Symphonieorchester Platz fand und trat zu seinem Schützling. „Interessantes Stück, mein Freund.“
„Findest Du?“, entgegnete Paul, ein wenig unsicher.
„Unbedingt. Wie bist Du darauf gekommen?“
Dann sprudelte es aus dem jungen Burschen heraus. Von der intensiven Zeit damals in Hamburg. Von der Amüsiermeile mit ihren aufregenden Mädchen, den Musikclubs und den anstrengenden Tagen, mit langen Auftritten und wenig Schlaf. Das Einzige, was ihn damals wirklich über Wasser gehalten hätte, seien die Rühreier gewesen, die die Vier unweit der Paul-Rosen-Straße jeden Morgen zu sich genommen hätten. Bei Grete, die die besten „Scrambled Eggs“ von ganz Hamburg zubereitet hatte. Aber das besondere dieser Rühreier war das Brot, betonte Paul. Ein herzhaftes Roggenmischbrot mit kräftigem Aroma und herrlicher Kruste, in Hamburg allseits bekannt als Bürgermeisterkruste. Davon sollte der neue Song handeln, befand der junge Komponist.
Mr. Martin war bestürzt! Er hatte schon seit längerem das Gefühl, dass es Spannungen in der Band gab. Aber was er nun hier vor sich sah, einen der genialsten Komponisten seiner Generation, der über ein Lied nachdachte, welches von Brot und Rühreiern handeln sollte, war ein entsetzlicher Tiefpunkt und wenn er das wunderbare Projekt dieser vier Burschen, die aktuell die Popwelt elektrisierten, retten wollte, musste er handeln. Jetzt!
Der Produzent setzte sich zu seinem Schützling auf den Hocker des Flügels. „Los, spiel es mir nochmal vor.“, forderte er den Burschen auf. Und Paul spielte. Es war eine wunderbare Melodie, die ihren Zuhörer behutsam aufnahm und mit sich forttrug. George spürte eine Melancholie in sich aufsteigen. Das zärtliche Musikstück verursachte bei ihm das Gefühl irgendwann etwas falsch gemacht zu haben. Eine unbedachte Geste, ein falsches Wort vielleicht, in jedem Fall aber ein nicht wiedergutzumachender Fehler.
Als Paul den letzten Akkord gespielt hatte, stand für den bewegten Musikproduzenten eines felsenfest. Dieses wunderbare Kleinod hatte alles in sich, ein Hit für die Ewigkeit zu werden. Ein Song, mit dem Zeug zum Klassiker. Einer Symphonie von Beethoven gleich, von Bach oder Mozart.
Aber zu diesem Zweck musste noch einiges geschehen. Er, Georg Martin würde etwas Neues wagen und seine Erfahrungen aus seiner Klassikzeit einbringen, eine Untermalung mit Streichern vielleicht und er musste den Jungen unbedingt von seinem Vorhaben abbringen über Brot und Rühreier zu singen.
So geschah es dann. Am 17. Juni wurden die Aufnahmen von Paul, der sich selbst auf einer Gitarre begleitete mit der Einspielung der Streichinstrumente in den Abbey-Road Studios abgemischt. Es war das erste Stück, welches ohne die anderen drei Bandmitglieder aufgenommen wurden. Die zahlten es Paul heim, indem sie sich einer Veröffentlichung als Single verweigerten.
So erschien dieser Meilenstein der Musikgeschichte am 6. August 1965 demnach lediglich als Teil des Help! Albums. Trotzdem wurde es der erwartete Welterfolg und setzte einen Trend, indem es klassische Elemente in die Popmusik einfügte und es nicht von einer Eierbrotspeise handelte. Vielmehr handelte es von einer verflossenen Liebe und den Fehlern der Vergangenheit …,
Yesterday
Im November desselben Jahres packte George Martin seine Tasche und reiste nach Hamburg. Er wollte wissen, was denn so besonders war, an diesem Rühreibrot. Aber er hatte Pech. War doch die gute Grete inzwischen verstorben. Aber der Bäcker, der das leckere Roggenbrot seinerzeit gebacken hatte existierte noch.
Der Chef des kleinen Plattenlabels kaufte zwei Stück, man nannte es Hamburger Bürgermeisterkruste. Eins nahm er für Paul mit und eins für sich. George Martin, den viele für den fünften Beatle hielten, sollte es 50 Jahre lang essen, eingeflogen aus Hamburg, bis zu seinem Lebensende, im Jahr 2016 …
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